Den Serifen sind wir bereits zweimal begegnet: einmal bei der Einführung in die Typografie und einmal bei der Entscheidung für oder gegen Serifen. Dabei ging es um längere Prosatexte oder um aussergewöhnliche Schriftbilder: meist Literatur für Erwachsene. Wie ist das aber bei Kinderbüchern? Sind da auch Serifen angebracht?
Leseanfänger:innen: Lesen ohne Gewohnheit
Die Feststellung, Serifenschriften seien weniger ermüdend, ist nicht zwingend allgemein haltbar. Möglicherweise helfen die Serifen, indem sie quer zu den Strichen verlaufend auf die Zeilenstruktur von Texten verweisen, bei der Orientierung. Aber wahrscheinlich bildet diese Feststellung einfach eine Lesegewohnheit ab. Wir lesen Serifenschriften leichter, weil wir häufig Serifenschriften lesen. Kinder haben diese Leseerfahrung noch nicht.

Während also Serifen geübten Leser:innen dabei helfen können, sich in der Zeilenstruktur eines Texts besser zurecht zu finden und beim Lesen nicht ständig von einer Zeile auf eine andere zu rutschen, irritieren die Serifen ungeübte Leser:innen. Die Querstriche beeinträchtigen die Klarheit des Buchstabenbilds und erschweren es Leseanfänger:innen, die Buchstaben zuverlässig zu erkennen. Zudem enthalten Bücher für Leseanfänger:innen kaum mehrere Zeilen hintereinander, sodass die Orientierungshilfe der Serifen entfällt.
Für Leseanfänger:innen eignet sich also eine serifenlose Schrift. Häufig erleichtert überdies die Zuordnung eines fortlaufenden Texts zu verschiedenen Bildern das Textverständnis. Die Verknüpfung von Bild und Text erfolgt unmittelbar, sodass das Bild sofort das Textverständnis unterstützt.
Bilderbücher: Bücher als Bilder
Mit zunehmender Lesefähigkeit erweitern sich die Gestaltungsmöglichkeiten. Es ist also entscheidend, das Zielpublikum eines Kinderbuchs im Blick zu haben. Geübten Leser:innen, die in einem linearen Leseprozess bereits Satz für Satz begreifen und so grössere Textmengen erfassen können, helfen Serifen möglicherweise.

Gerade Kinderbücher bieten aber auch ein fruchtbares Anwendungsfeld für eine experimentelle Typografie. So lässt sich durch die unterschiedliche Gestaltung von Buchstaben beispielsweise die Stimmung einer Aussage bildlich transportieren. Dafür eignen sich aufgrund der Klarheit der einzelnen Buchstaben ebenfalls serifenlose Schriften.
Ähnlich wie bei Leseanfänger:innen, die einzelne Buchstaben erst zu einem Wort zusammenfassen müssen, sind die Worte in einzelne Buchstaben zerlegt, um zusätzliche Sinnebenen zu erschliessen. Neben der Textvermittlung haben die Buchstaben abgesehen von den eindeutig piktorialen Elementen die Funktion eines Gesamtbilds.
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