Daher man eben nichts verliert, wenn man bei irgendeinem Einzelnen
stehnbleibt, und auch die wahre Weisheit nicht dadurch zu erlangen ist,
dass man die grenzenlose Welt ausmisst oder ,was noch zweckmässiger wäre,
den endlosen Raum persönlich durchflöge; sondern vielmehr dadurch,
dass man irgendein Einzelnes ganz erforscht, indem man das wahre und
eigentliche Wesen desselben vollkommen erkennen und verstehn zu lernen sucht.
(Arthur Schopenhauer)
Ein Jahr lang Tag für Tag an denselben Ort zurückkehren, um die Beziehung zu einem Kraken zu pflegen? Genau das dokumentiert der südafrikanische Dokumentarfilmer Craig Foster zunächst selbst und dann mit der Unterstützung der Regisseur:innen Pippa Ehrlich und James Reed sowie des Kameramanns Roger Horrocks. In seinem oscarprämierten Film «Mein Lehrer, der Krake» (Netflix, 2020) erzählt Foster einfühlsam die Annäherung zwischen Mensch und Kraken.
Abtauchen um aufzutauchen
Während eines Burnouts, in dem Foster fürchtet, seinem Sohn kein guter Vater zu sein, wendet er sich dem Freitauchen zu. Schon in seiner Kindheit dem Meer verbunden taucht er erneut ab. Die Kälte des winterlichen Südatlantiks (ca. 9°C) wirkt wie eine Schocktherapie auf sein Nervensystem. Hormone fluten seinen Körper und lassen ihn – «Zwei Jahre ging ich durch die Hölle», so Foster selbst – wie in einem Rausch mehr und mehr aus seinem Tief auftauchen.

Die Unmittelbarkeit beim Tauchen ohne Neoprenanzug und ohne Sauerstoff fesseln Foster. Immer wieder zieht es ihn in den Algenwald in der False Bay bei Simon’s Town am Kap der guten Hoffnung. Als er einem Krakenweibchen begegnet, beginnt eine feinfühlige Annäherung. Und der Gedanke an die Aufzeichnung seiner Streifzüge durch den Algenwald keimt auf.
Auf der Suche nach dem Kraken erinnert sich Foster an das Lesen von Tierspuren, wie er es bei Dreharbeiten mit den San in der Kalahari Wüste kennengelernt hat. Besser und besser deutet er die Zeichen eines Tiers, das im Verlauf von Jahrmillionen gelernt hat, unauffindbar zu sein. So spürt er den Kraken wieder auf und besucht ihn von da an jeden Tag.
Anregung durch Fremdartigkeit
Manche Begegnungen scheitern (zum Beispiel weil Foster eine Linse fallen lässt und den Kraken erschreckt) und manche gelingen in ihren sanften Berührungen auf spektakuläre Weise. Allmählich wächst das Vertrauen. Der Krake begleitet Foster, der Luft holen muss, sogar einmal auf dessen Hand bis an die Wasseroberfläche. Beide scheinen in ihren Begegnungen voneinander zu profitieren, weil der ungewohnte Kontakt die Intelligenz anregt. Vielleicht, so spekuliert Foster in den kurzen Monologen zwischen den Aufnahmen aus dem Algenwald weiter, empfindet der Krake sogar Freude.
Wir wissen es nicht. Aber wir spüren in diesem intimen Film die Entwicklung einer aussergewöhnlichen Beziehung. Wir werden mit Foster Zeug:innen der ganzen Dramatik eines kurzen Krakenlebens. Und wir fühlen, beinahe therapeutisch, die Gewalt von Verletzungen und die Befreiung in der Heilung mit.
Mit der Zeit beginnt sich Foster nicht mehr als Besucher dieses Ökosystems, sondern als Teil davon zu begreifen. Das Verhältnis von Mensch und Tier, so schreibt die TAZ, ist in Bewegung geraten. Der einfühlsame Film endet zwar auf einer ähnlich pathetischen Note wie Peter Godfrey-Smiths Auseinandersetzung mit den Kraken. Aber die Bilder sind eindringlicher. Und die Lektion in Sanftmut, die Foster vom Kraken gelernt zu haben meint, ist nachempfindbar, wenn Foster am Ende mit seinem Sohn taucht.
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